Nach der Pandemie wird die steigende Nachfrage die OEMs unter Druck setzen
Von Staffan Theander, Produktmanager bei Syncron
Mit Aufhebung der pandemiebedingten Einschränkungen kommen die Lieferketten langsam wieder in Schwung. Um den anstehenden Nachfrageschub bewältigen zu können, müssen die Hersteller schon jetzt mit der Planung beginnen.
Für die weltweite Fertigungsbranche war das vergangene Jahr gelinde gesagt eine ziemliche Herausforderung. Die wichtigsten Industrien und das tägliche Leben kamen zum Stillstand, ebenso wie viele Maschinen und Fahrzeuge. In vielen Fällen wurden sie weder benutzt noch gewartet. Der Umsatz sank, was sich überall auf Hersteller und Lieferketten auswirkte. Doch mit der zunehmenden Verbreitung von Impfungen und der Lockerung der Einschränkungen kehren wir allmählich zur Normalität zurück. Die Lieferkette wird wieder in Schwung kommen, da sowohl Materialien als auch qualifizierte Techniker wieder schneller verfügbar sind. Angesichts der steigenden Nachfrage müssen OEMs im Voraus planen, um sicherzustellen, dass sie die Kundenanforderungen erfüllen können.
Die Erholung vom Peitscheneffekt
Wenn die Umsätze dramatisch sinken, besteht die natürliche und oft automatische Reaktion darin, Prognosen und damit auch Auftragsniveaus anzupassen. Ein Liquiditätsengpass infolge eines Umsatzrückgangs kann den Druck noch steigern, die Lagerbestände weiter zu reduzieren. Ein geringerer Verbrauch und niedrigere Bestellpunkte lassen die Veränderungen für jede vorgelagerte Stufe der Lieferkette noch größer erscheinen. Diese Ausbreitung und Verstärkung über die gesamte Lieferkette wird häufig als Peitscheneffekt bezeichnet. Das gleiche Phänomen haben wir nach der Finanzkrise von 2008 gesehen.
Wenn beispielsweise die Nachfrage im Einzelhandel um 25 % sinkt, können die Herstellerbestellungen sogar noch stärker sinken, weil die Einzelhändler ihre vorhandenen Bestände aufbrauchen. Das könnte zu einem Nachfragerückgang um 50 % bei den Herstellern führen, die ihrerseits ihre Bestellungen bei ihren direkten Zuliefern reduzieren, die dann wiederum aufhören, bei ihren Zuliefern zu bestellen. Das durchläuft dann die ganze Kette.
Jetzt, wo sich das Blatt wendet und die Weltwirtschaft wieder in Gang kommt, steigt die Nachfrage in fast allen Regionen. Einzelhändler und Hersteller werden darauf reagieren und Bestellungen für Mengen aufgeben, die weit über den steigenden Verbrauch hinausgehen, da sie auch ihre Lagerbestände wieder auffüllen müssen. Und dieser Effekt wird sich wiederum auf die gesamten Lieferkette auswirken.
Mehr Nachfrage, weniger Kapazitäten
Erschwerend kommt hinzu, dass viele Zulieferer als Reaktion auf den wirtschaftlichen Abschwung bereits ihre Kapazitäten reduziert haben. Andere haben vielleicht sogar ihr Geschäft aufgegeben oder sind aus rechtlichen Gründen nicht mehr in der Lage, Teile und Produkte zu liefern. Infolgedessen wird die Gesamtkapazität der Lieferkette zur Deckung der steigenden Nachfrage schwächer sein. Wie können Hersteller damit umgehen?
Wenn Sie ein reines Vollsystem betreiben, können Sie durch eine Reduktion der unfertigen Erzeugnisse oder der Anzahl der Einheiten in der Lieferkette verhindern, dass Sie einen großen Rückstand an offenen Aufträgen haben, die darauf warten, vom Lieferanten erfüllt zu werden. Hinzu kommt, dass Wachstumsvorhersagen, die auf falschen Signalen anstatt auf der tatsächlichen Nachfrage beruhen, zu einem Bestandsüberschuss führen. Daraus resultiert eine weitere Phase, in der die Auftragslage wieder unter den Verbrauch sinkt, und der Zyklus beginnt von neuem.
Auch wenn Prognosen auf Grundlage der Nachfrage auf jeder Ebene eine gute Möglichkeit zur Vorausplanung zu sein scheinen, tut dieser Ansatz den Herstellern und Lieferanten auf lange Sicht keinen Gefallen. In Zeiten der Ungewissheit und bei geringer Verbrauchernachfrage sollten sofortige Anpassungsmaßnahmen vorgenommen werden. Das Problem ist die Tendenz zu Überreaktionen.
Transparenz verbessert die Effizienz
Um Schwankungen zwischen Über- und Unterbestellungen zu vermeiden, benötigen Sie Einblicke in Ihren tatsächlichen Verbrauch. Das ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn sich die Nachfragemuster ändern. Es ist außerdem wichtig, Point-of-Sales- oder Verbrauchsdaten in die Prognosen und Planungen einzubeziehen. Je besser Sie Ihre Lieferkette von Anfang bis zum Ende planen können, desto wahrscheinlicher werden Sie in der Lage sein, aufkommende Probleme zu entschärfen. Das erfordert ein besseres Wissen über Ihre Absatzmärkte und den Austausch von Erkenntnissen mit Ihren Lieferanten. Schließlich wollen Sie beide die Nachfrage der Endkunden so effizient wie möglich befriedigen.
Die Dreh- und Angelpunkte des Lieferkettenmanagements
Auf der operativen Seite der Gleichung steht ein effizientes Netzwerk mit IT-Unterstützung für die horizontale und vertikale Umverteilung von Beständen zur Bedienung Ihrer Kunden und zur Bewältigung von Lieferkettenproblemen. Wenn zu Ihrem Geschäftsmodell unabhängige Einzelhändler gehören, sollten Sie händlerübergreifende Lieferungen ermöglichen und fördern, selbst wenn diese in direktem Wettbewerb zueinander stehen. Das trägt dazu bei, die Erfahrungen der Endkunden zu verbessern und drängende Auftragsrückstände in den eigenen Vertriebszentren schneller zu beheben, während gleichzeitig überschüssige Bestände über das Händlernetz ausgeglichen werden können.
Die Übernahme bewährter Strategien und Methoden kann Ihrem Unternehmen dabei helfen, auf der post-pandemischen Welle zu surfen und die Auswirkungen des Peitscheneffekts auf die Fähigkeit, Kunden zu bedienen, zu verringern. Überlegen Sie sich, auf welche der folgenden Bereiche Sie sich konzentrieren wollen:
Strategisches Lieferantenmanagement
Die Segmentierung Ihrer Teile und Lieferanten nach Geschäftskritikalität und Störanfälligkeit ermöglicht es Ihnen, Ihre Beschaffungsstrategie für unterschiedliche Lieferanten zu differenzieren.
Vorlaufzeitmanagement
Viele Lieferanten haben derzeit aufgrund von Entlassungen, verringerten Kapazitäten und aus behördlichen Gründen längere Vorlaufzeiten. Machen Sie jetzt einen Schritt nach vorn, indem Sie die Vorlaufzeiten in Ihrem System und in Ihrer Planung manuell anpassen. Wenn die Dinge wieder normal laufen, können Sie diese dynamische Anpassung der Vorlaufzeit nutzen, um der Kurve einen Schritt voraus zu sein.
Bestandszuweisung
Wenn Ihr Bestand an kritischen Teilen niedrig ist und Lieferanten nicht liefern können oder an bestimmten Standorten nur begrenzte Verfügbarkeiten haben, kann eine Bestandszuweisung Ihnen dabei helfen, Ihren Bestand zu rationieren. Priorisieren Sie Auftragspositionen, und weisen Sie kleinere Mengen je nach Dringlichkeit zu.
Management von Ausreißern
Achten Sie auf sprunghafte Anstiege oder Rückgänge bei der Nachfrage und nehmen Sie diese Werte aus Ihren Prognosedaten heraus, um sicherzustellen, dass Sie nicht zu stark korrigieren und ungeeignete Lagerbestände aufbauen.
Pull-/Verbrauchsorientierte Bestandsoptimierung
Wenn Sie ein Bestellpunktsystem verwenden, achten Sie besonders auf Artikel mit vielen Rückständen und Vorbestellungen. Konzentrieren Sie sich stattdessen auf den Endkundenverbrauch oder den „Pull“. Das Gleiche gilt für die umgekehrte Situation: Wenn die Nachfrage einbricht, müssen Sie dafür sorgen, dass Ihr System oder Ihre Planer keine Überkompensation vornehmen.
Point-of-Sales-Prognosen
Verschaffen Sie sich ein klareres Bild von der tatsächlichen Nachfrage, indem Sie Prognose- und Nachschubmodelle auf den tatsächlichen Verbrauch und nicht auf die in Chargengrößen gruppierte Nachfrage stützen. Dies verhindert außerdem Verzerrungen aufgrund von Vorlaufzeiten oder größeren Chargen. Wenn Sie über die entsprechenden Daten und Systeme verfügen, sollten Sie sich die Verbrauchsdaten auf jeder Ebene der Lieferkette ansehen.
Prognostizierte Aggregation
Eine andere Möglichkeit besteht darin, die nachgelagerten Prognosen zu aggregieren und dabei die Anpassungen der Planer zu berücksichtigen, wobei die nachgelagerten Anpassungen dann vorgelagert werden. Machen Sie sich klar, dass die menschliche Neigung zur Überreaktion die tatsächlichen Verbrauchswerte verzerren kann.
Multi Echelon-Bestandsoptimierung (MEIO)
Für eine bestmögliche Bestandsoptimierung benötigen Sie einen vollständig integrierten Ansatz, der viele Ebenen umfasst und interne Abhängigkeiten berücksichtigt. Diese Strategie hat zwar das Potenzial, 30 % Lagereinsparungen in der Lieferkette zu erzielen, indem sie die Bestände näher zum Kunden bringt, aber sie kann auch zum Zeitpunkt ihrer Einführung einen Peitscheneffekt innerhalb Ihrer Lieferkette hervorrufen. Wenn Sie noch keine MEIO-Strategie nutzen, ist es vielleicht besser abzuwarten, bis sich das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wieder normalisiert hat, damit Sie nicht Gefahr laufen, eine weitere Schockwelle durch Ihr System zu schicken.
Während sich die ganze Welt und die wichtigsten Industriezweige an die neue Normalität anpassen, sollten sich die Hersteller auf ein arbeitsreiches Jahr einstellen. Bleiben Sie ruhig, konzentrieren Sie sich auf den tatsächlichen Verbrauch, und halten Sie offene Kommunikationswege zu Ihren Lieferanten aufrecht. Das ist der Schlüssel zur Erfüllung der unmittelbaren Kundennachfrage und zum Aufbau einer langfristigen Resilienz.
Staffan Theander ist der Produktmanager für Syncron Inventory. Syncron unterstützt weltweit führende Hersteller dabei, die Vorteile der neuen Dienstleistungswirtschaft zu nutzen.
Dieser Artikel erschien ursprünglich im Supply & Demand Chain Executive Magazine.